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Vor 30 Jahren sagte einmal ein kluger Mensch zu mir: Dinge zu erfahren kommt von „er-fahren“. Wahrscheinlich liegt darin der Umstand begründet, das ich viele meiner Reisen immer auf dem Fahrersitz eines Fahrzeuges zugebracht habe. Bei Fernstraßen, habe ich festgestellt, ist das „Er-fahren“ wesentlich einfacher, als das man die Fernstraße „er-wandert“. Außer man hat viel Zeit und gutes Schuhwerk.
Einer meiner Lieblingsfernstraßen befindet sich im äußersten Osten der Weltkarte. Es handelt sich hierbei um den Sichuan – Tibet Highway in China. Der Highway beginnt in Chengdu und endet in Tibets Hauptstadt Lhasa. Mit einer Gesamtlänge von 2.085 km gehört der Highway zu den längsten Fernstraßen in China. Dabei ist der Highway nur ein Teil der drittlängsten Fernstraße der Welt, der G318 mit einer Gesamtlänge von 5.476 km. Diese beginnt in Shanghai und endet bei Kodari an der chinesischen/nepalesischen Grenze. Nur der australische Highway Number 1 und der Trans – Canada Highway mit Ihren 14.500 km bzw. 8.000 km, können mit noch mehr ausgelegtem und plattgewalzten Asphalt aufwarten.
Dies aber am Rande. Zurück zum Highway. Der Highway ist natürlich sehr tibetisch geprägt, sobald man die Provinz Sichuan verlässt und die ersten Höhenmeter hinter sich gebracht hat. Trotzdem ist unverkennbar sichtbar die Vermischung tibetischer und chinesischer Kultur. Zum einen sieht man die altehrwürdigen buddhistischen tibetischen Klöster und zum anderen die neu aufgebauten Städte an der Strecke. Diese sind allesamt nach chinesischem Muster erbaut oder umgebaut worden und könnten auch irgendwo in China stehen. Angefangen von der Leuchtreklame, den verlegten Stromleitungen bis hin zum Essen. Auf positive Überraschungen wartet man hier leider vergebens. Was einen schon etwas traurig stimmt. Trotzdem ist es natürlich faszinierend, dass selbst hier, gefühlt am Ende der Welt, das Leben „lebt“. Kinder spielen auf der Straße wie in anderen Städten und der Handel ist genauso lebhaft wie in den Metropolen an der Küste.
Landschaftlich bewegt man sich natürlich auf dem höchsten Level. Das Himalaya Gebirge spricht für sich selbst. Mehr geht nun wirklich nicht. Schneebedeckte Berggipfel jenseits der 7.000 Marke. Nirgendwo sonst auf der Erde, ist man dem Himmel so nahe. Fahrerisch hat die Strecke auch etwas zu bieten. Insgesamt müssen vier Pässe bezwungen werden, die mit 5.000 m Höhe manchen Bergsteiger vor Neid erblassen lassen. Auf 5.000 m Höhe schnaubt dann nicht nur der Fahrer und Beifahrer, sondern auch der Motor. Normale Leistungsstärke zeigt auf dieser Höhe kein Motor mehr und Mensch und Maschine bewegen sich in solchen Höhen nur noch im Zeitlupentempo. Sprints, um schnell einmal ein besonderes, spektakuläres Bild zu machen, sollte man getrost den Einheimischen oder jüngeren Mitmenschen überlassen. Es sei den, man hat sich in niedrigen Gefilden, mit genügend Sauerstoffflaschen versorgt und diese in greifbarer Nähe. Der Straßenzustand der Strecke variiert. Jedoch ist das chinesische Straßenbauamt sehr fix unterwegs, so das wahrscheinlich in wenigen Jahren die gesamte Strecke durchasphaltiert ist. Das bedeutet dann natürlich etwas weniger Abenteuer. Im Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ würde wahrscheinlich stehen - harmlos. Richtig gefährlich wird die Strecke nur, wenn ein Erdrutsch die Straße versperrt, man im Winter unterwegs ist oder bergauf oder bergab gefahren wird. In 500 m tiefe Schluchten zu schauen, ist dabei nicht jedermanns Sache. Hier hilft es, wenn man Schwindelfrei ist, der Fahrer das Fahrzeug beherrscht und bei der letzten Inspektion die Bremsen überprüft worden sind. Begegnet man auf diesen Abschnitten chinesischen Lastwagenfahrer, kann man davon ausgehen, dass zumindest eine der drei Eigenschaften, mit einer Wahrscheinlichkeit von 95%, nicht vorhanden ist. Sollten sichtbare Anzeichen darauf hindeuten, dass alle drei Eigenschaften fehlen, sollte man schnell das Weite suchen. Zeugnis sind die zahlreichen LKWs Wracks in den Schluchten. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, weshalb der Sichuan – Tibet Highway, es geschafft hat in die Liste der „Dangerousroads“ aufgenommen zu werden. Frequentiert wird der Highway übrigens überwiegend durch LKWs. Privatfahrer sind selten und wenn doch, fahren Sie meistens von Ort zu Ort. Interessant wird es, wenn man auf dem Highway einem nicht endenden Militärkonvoi der chinesischen Armee entgegen fährt. Mitunter können das tausendende Dong Feng LKWs sein, die sich röhrend den Hang hinauf- oder hinabschieben. In diesem Moment, zeigt sich Chinas „Größe“ ungewollt. Richtig viel Pech hat man allerdings, wenn man auf einen solchen Konvoi auffährt. Das Überholen ist beinahe aussichtlos. Viele Möglichkeiten bleiben einem da nicht mehr. Entweder Pause machen oder den sportlichen Wettkampf suchen. Seit 2010 begegnet man auf dem Highway auch einem neuen chinesischen Jugendtrend. Per Anhalter oder mit dem Fahrrad von Chengdu aus bis nach Lhasa zu reisen. Die Autorin Zhang Xiaoyan war mit ihrem Buch "Keep Walking!" 2010 eine derer, die die Reisewelle auslösten. Sie beschreibt darin, wie sie für weniger als 100 Yuan von Chengdu nach Lhasa reiste, und wurde damit zum Vorbild vieler junger Reisenden in China, die es allerdings nicht immer schaffen, so billig davonzukommen.
Großen Respekt kann man wirklich den Menschen zollen, die 1950 den Bau der 2.413 km in Angriff genommen haben und letztendlich im Jahre 1954 die Straße der Öffentlichkeit übergeben haben. Als erste Fernstraße nach Tibet bis dahin eine wahrliche Meisterleistung. Eine Meisterleistung die jeden Chinesen mit Stolz erfüllt. Hin und wieder bekommt man diesen Stolz zu spüren, vor allem wenn man sich nicht regelkonform auf der Strecke fortbewegt oder Hinweisschilder an Brücken missachtet. So passiert anno 2007 auf einer unserer Reisen. Wer also nicht einen 4-stündigen Vortrag eines chinesischen Gebirgsjägers über sich ergehen lassen möchte über den Bau der Straße und Brücken des Sichuan – Tibet Highways, sollte es tunlichst vermeiden mit mehreren Fahrzeugen eine Brücke gleichzeitig zu befahren. Speziell auch noch, wenn es in großen chinesischen Schriftzeichen auf einem Plakat, am Brückenanfang geschrieben steht. Wer allerdings genau das möchte, nur zu, immer schön im Konvoi mit einer Wagenlänge Abstand über die Brücke.
Nichtsdestotrotz: Für mich zählt die Strecke absolut zu den schönsten und abenteuerlichsten Fernstraßen die ich jemals gefahren bin. Verbindet man dann auch noch den Sichuan – Tibet Highway mit dem Friendship Highway oder gar mit den Fernstraßen G315, G219 und G318 bis nach Kashgar – ist es eine der schönsten und abenteuerlichsten Fernreisetrecken.
SICHUAN - TIBET HIGHWAY