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ALT vs NEU
Gedanken zur Fahrzeugwahl für Offroad- und Fernreisen
Hier bloggt das Team der experience zu Themen und Touren auf der Suche nach dem Westpol.
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Vor einigen Monaten fragte die Zeitschrift 4x4 Camper nach unserer Meinung zu dem Thema: Alt vs Neu - welches Fahrzeug für die Reise? Hier ist der Artikel:
Der Schmied von Timbuktu und seine mechatronischen Fähigkeiten ist oft der Protagonist bei der unter Reisenden beliebten Diskussion was besser für ausgedehnte Fahrzeugreisen geeignet sei. Ein Basisfahrzeug auf dem aktuellen Stand der Technik oder mit bewährter unkomplexer Technik. Bevor ich tiefer in das Thema einsteige eine wahre Geschichte „vom Schmied von Timbuktu“.
Anfang der 2000er Jahre stellte VW der Organisation für das Festival au Désert, einem renomierten Event für Tuareg Musik drei damals gerade frisch vorgestellte neue Touareg Geländewagen als Organistionsfahrzeuge zur Verfügung. Wir hatten den Auftrag die Fahrzeuge nach dem Festival in Mali abzuholen und die gut 7.500km zurück nach Deutschland zu überführen. Die Fahrzeuge wurden während des Festivals rege genutzt um Gäste in die Dünen nördlich von Timbuktu zu shuttlen.
Als wir die Autos abholen wollten hieß es jedoch, diese seien alle kaputt: bei einem sei etwas im Motor explodiert, das andere fahre nur noch in Schrittgeschwindigkeit und das letzte bewege sich nicht mehr vom Fleck…
"Siehst Du" werden jetzt die Verfechter die Philosophie „bewährtes Altmetall“ sagen – "Fahrzeuge mit einer Rechnerkapazität die 10 mal höher ist als die der ersten Mondlandefähre halten den harten Strapazen auf Tour, weitab des Werkstattennetzes nicht mehr Stand".
Doch ist dem so? Am besten ist es die verschiedenen mit dieser Thematik verknüpften Punkte einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und abzuwägen.
Einfachheit vs Kompexität:
Viele alte Fahrzeuge sind einfach konstruiert und was nicht vorhanden ist kann einfach auch nicht kaputt gehen. In modernen Fahrzeuge finden sich nicht nur ungleich mehr Komfort- und Sicherheitsfeatures, sondern auch recht komplexe Technik zum Kraftstoffsparen und zur Abgasreinigung. Alles potenzielle Defektquellen – oder?
Andererseits fährt auch ein modernes Fahrzeug noch nach Ausfall des Abstandsradars oder des ESP Systems problemlos weiter. Nur sehr wenige Defekte führen tatsächlich zu einem Ausfall des Fahrzeugs. Trotzdem sollte man das Thema Komplexitätsreduktion bei der Auswahl seines Fahrzeuges mit bedenken und soweit möglich auf überflüssiges verzichten.
Haltbarkeit:
Früher war alles besser, da wurde noch aus dem Vollen gefräst. Ja, es stimmt es gibt eine handvoll alter Reisefahrzeuge wie z.B. den Bremer, den Düdo, den Hilux, den LandCruiser die durch beinahe unglaubliche Langlebigkeit glänzen. Unter dem Strich ist jedoch die Qualität der Fahrzeuge und der Komponenten gestiegen. War früher ein Wartungsintervall von 5000km eher die Regel, müssen moderne Fahrzeuge nur noch alle 30.000km in die Werkstatt. Auch die Motoren sind besser geworden, war ein VW Bus Motor selbst bei schonender Fahrweise früher bei 100.000km in hohem Alter, sind heute 200.000km und mehr eher nicht nur die Regel, sondern werden zu recht erwartet (wie die in sozialen Netzwerken ausgiebig diskutierten Ausnahmen zeigen).
Elektronik:
Das geheimnisvolle Hexenwerk, das im Inneren moderner Fahrzeuge werkelt, weckt wahrscheinlich das größte Misstrauen und das nicht nur unter gusseisernen Traditionalisten. Den Frust wenn der Computer abstürzt und die geistige Arbeit eines Tages verloren ist kennen viele von uns, deshalb ist es leicht diese Skepsis zu teilen. Wenn sich zentrale Elemente eines Steuergerätes erstmal verabschiedet haben geht nichts mehr. Doch nach meiner Erfahrung ist diese Gefahr vernachlässigbar gering. In den letzten 15 Jahren waren wir mit verschiedensten Fahrzeugflotten hochmoderner Fahrzeuge vom Kongo bis nach Island und vom Amazonas bis in den Himalaya auf übelsten Pisten unterwegs. Und ja, natürlich gab es auf vielen 100.000km auch Pannen. Aber: keine einzige Panne hatte etwas mit der zentralen Elektronik zu tun. Alle Defekte und Pannen waren mechanischer Natur und meist sogar auf Nachlässigkeiten oder Fahrfehler zurück zu führen. Steuergeräte, wenn man nicht gerade versucht sie unter Wasser zu betreiben oder mit dem Schweißgerät zu grillen, sind heutzutage extrem zuverlässige Bauteile. Ein weiterer Punkt den man bedenken sollte: Selbst Basisfahrzeuge aus den 80ern wurden damals schon mit Steuergeräten für die Einspritzanlagen ausgestattet. Mir persönlich ist eine ausgereifte moderne Motorsteuerung lieber als eine 30 Jahre alte Digifant aus der Sturm und Drangzeit der Elektronik. Vielleicht ein Indiz für die Zuverlässigkeit moderner Elektronik ist es, dass selbst in den abgelegenen Gegenden der Mongolei der Prius mittlerweile den Buchanka Bus als Hauptverkehrsmittel abgelöst hat.
Reparatur und Ersatzteile:
Alte Autos gehen kaputt, neue Autos gehen auch kaputt – ob durch Verschleiß, Unachtsamkeit oder Unfall. Die entscheidende Frage ist: Und dann? Tatsächlich ist dies mittlerweile nicht primär eine Frage Jung VS Alt, sondern welcher Teil der Welt gerade bereist wird und ob das jeweilige Fahrzeugmodell, die jeweilige Motorisierung dort gebräuchlich ist. Gerade bei historischen Modellen der Marke mit dem Stern und heckmotorigen Volkswagen ist die Chance in manchen Ecken der Welt noch groß, Ersatzteile direkt vor Ort zu bekommen. In den meisten anderen Ecken der Welt ist es jedoch, besonders bei den Oldies, eher mau. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass viele der modernen Fahrzeugmodelle oder Komponenten fast auf jedem Kontinent verfügbar sind. Dies erhöht die Chancen auf erfolgreiche Reparatur vor Ort erheblich – auch weil die Werkstätten vor Ort auf hohem Qualifikationsniveau arbeiten. So ist z.B. der 2.0l VW Dieselmotor weltweit millionenfach im Einsatz. Verschleißteile für die gängigen Modelle (vor allem aus Japan und Korea) sind sehr oft direkt verfügbar. Wenn also die Ersatzteilversorgung vor Ort – ob bei alt oder jung – klappt: Bingo! Jenseits von Verschleißteilen ist die Realität leider eine andere. Selbst im benachbarten europäischen Ausland dauert es oft Wochen bis Ersatzteile in einer Werkstatt ankommen. Zum Glück gibt es hier mittlerweile die Option sich benötigte Teile, ob Einspritzpumpe für den Rundhauber oder Gleichlaufgelenk für den California von Freunden oder dem ADAC mit Kurierdienst in alle Ecken der Welt schicken zu lassen.
Sicherheit und Komfort:
Ein wichtiger Aspekt bei der Abwägung Neu vs. Alt. Die aktive und passive Sicherheit moderner Fahrzeuge übertrifft die von Reiseklassikern. Im Fall eines Unfalls sind die Chancen für Fahrzeuginsassen, aber auch für den Unfallgegner zu überleben (meist sogar unverletzt auszusteigen) bei modernen Fahrzeugen sehr hoch. Auch bieten das Fahrverhalten in kritischen Situationen und die Bremsen deutlich größere Reserven.
Wer schon einmal an einem heißen Sommertag im ausgedrehten 2.Gang mit röhrendem Diesel zwischen den Sitzen und einem ebenso spiegelverkehrten wie riesigen Scania Schriftzug im Rückspiegel die Kasseler Berge hinaufgekrochen ist, wird mir zustimmen, dass die Entschleunigung und Reiseromantik in einem Klassiker auch Ihre Kehrseiten hat. Besonders nach langen Fahrtagen steigt man deutlich entspannter aus einem modernen Gefährt. So gestalten sich lange Anreisen nach Marokko oder zur Islandfähre nicht nur entspannter, sondern meist auch zeitsparender und es bleibt mehr Zeit für das Erkunden der Zielregion.
Vorbereitung und Wartung:
Dies ist sicherlich der wichtigste Aspekt für das Gelingen einer ausgedehnten Fahrzeugreise. Je länger und wilder die Exkursion geplant ist, desto mehr lohnt es sich mit einem gut gewarteten Fahrzeug zu starten. Zwar werden die meisten lokalen Fahrzeuge der Reiseregionen in deutlich schlechterem Zustand sein, doch wer möchte schon unterwegs mehr Zeit als notwendig damit verbringen hilfsbereite Einheimische und kompetent improvisierende Werkstätten kennen zu lernen? Besonders bei älteren Fahrzeugen lohnt vor einem längeren Trip der Check und vorsorgliche Tausch von Nebenaggregaten, Kühlerschläuchen, Lagern usw. Moderne Fahrzeuge dagegen sind von den Herstellern eher für den Einsatz auf befestigten Straßen ausgelegt, für abenteuerlichere Touren lohnen hier auf jeden Fall verstärkte Stoßdämpfer, Unterfahrschutz und ein wirklich „off-road tauglicher“ Campingausbau. Sowohl bei Altbewährtem wie Ultramodernem, die Vorbereitung und Wartung des fahrbaren Untersatzes sind der wesentliche Aspekt für das Gelingen einer Tour. Deshalb ist dies eindeutig der falsche Punkt Geld zu sparen, hier zahlt sich die Erfahrung und die Qualität von Profis aus.
Spritqualität:
Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mehr uns janz dumm. Und da sage mer so: En Dampfmaschin, dat is ene jroße schwarze Raum, der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung. Und dat andere Loch, dat krieje mer später. Soweit das Zitat aus der Feuerzangenbohle, das aber auch noch alte Vorkammerdiesel recht treffend beschreibt. Um Abermillionen von Fahrzeugen heute halbwegs umweltverträglich zu bewegen müssen diese sparsam mit Ressourcen umgehen und sollten im Idealfall sauberere Luft aus dem anderen Loch ausstoßen als sie vorne angesaugt haben. In modernen Fahrzeugen kümmert sich darum ein kleines und hochkomplexes Chemiewerk. Damit dies seine Arbeit ordentlich erledigt braucht es Kraftstoff mit bestimmten Eigenschaften. Ältere Fahrzeuge (Euro 4 und davor) haben eine große Toleranz was Kraftstoffqualität angeht. Selbst die meisten Euro 5 Diesel mit Partikelfilter kommen mehrere tausend Kilometer recht gut mit schlechtem Diesel zurecht. Dies sollte jedoch kein Grund sein nicht mit einem hochmodernen Euro 6 auf eine Mehrkontinentetour zu starten. Zum einen wird weltweit die Spritqualität auf Euro Diesel Niveau immer verbreiteter, zum anderen laufen auch die modernen Diesel ein paar Tankfüllungen lang mit stark schwefelhaltigem Sprit. Problematisch ist die dauerhafte Nutzung schlechten Diesels, da sich im Abgastrakt durch Kondensation Schwefelsäure bildet, die die Teile angreift. Wer also plant längere Zeit in wirklich abgelegenen Gebieten wie Pakistan, Zentralafrikanische Republik oder dem Amazonasbecken unterwegs zu sein ist mit einem alten Diesel besser bedient. Die Komplexitätsproblematik kann man aber auch durch den Kauf eines modernen Benziners auslösen.
Resümee:
Die Welt hat sich weiter gedreht, auch mit modernen Fahrzeuge kann man ausgedehnte und anspruchsvolle Reisen unternehmen. Tatsächlich ist es zu einem großen Teil Sache des Geldbeutels und des eigenen Geschmacks, ob man mit bewährtem Altmetall oder hochmodernem Van als Basisfahrzeug losfährt. Trotzdem ist mein Rat bei der Neuanschaffung genau zu überdenken, welche Luxusfeatures es wirklich braucht und vielleicht nicht unbedingt die leistungsstärkste Ausbaustufe einer Motorentyps für ein Reisefahrzeug zu wählen. Entspanntheit und Entschleunigung sind nicht nur beim Fahrstil wichtig um gut von A nach B zu kommen. Auch bei den technischen Komponenten ist es beruhigend wenn nicht alles bis auf eine Literleistung ausgereift ist, die früher Formel 1 Motoren vorenthalten war.
Das wichtigste von allem jedoch ist, statt Monate und Jahre über das perfekte Fahrzeug zu grübeln und zu diskutieren – lieber mit einem unperfekten Fahrzeug losfahren und die Welt entdecken.
Ach ja – und die Touareg Geschichte vom Anfang? In Timbuktu angekommen nahmen wir die Fahrzeuge unter die Lupe: Fahrzeug 1: Ausgleichsbehälter Kühlwasser geplatzt – der war schnell geflickt und es konnte weiter gehen, Fahrzeug 2: Kupplung durch schleifen lassen komplett abgenutzt – mit Fahrzeug 1 die gut 1000km nach Bamako abgeschleppt und dort die Kupplung über Nacht in einer Hinterhofwerkstatt gewechselt, Fahrzeug 3: Turbo dicht, mit Abwasserrohr die Ansaugluft umgeleitet und als Saugdiesel weiter gefahren (nach 400km lief auch der Turbo wieder). Alles klassische Schäden, alles vor Ort schnell behoben und dann problemlos zurück nach Deutschland gefahren. Leider ohne den Schmied von Timbuktu persönlich kennen gelernt zu haben.